Jugendliche Ideen
aus der Zukunftswerkstatt

„Meine lieben jungen Brüder und Schwestern, der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass ihr die Zukunft der Kirche seid. Ich möchte das aber etwas abändern und präzisieren: Ihr seid nicht nur die Zukunft der Kirche, ihr seid diejenigen, die heute die Kirche der Zukunft gestalten, und zwar in dem Maß, wie ihr euren Glauben lebt, wie ihr miteinander umgeht, wie ihr einander unterstützt und einander vergebt. Ihr entscheidet heute, wie die Kirche der Zukunft sein wird.“

Diese Passage aus einem Gottesdienst, den Stammapostel Jean-Luc Schneider am 29. März 2013 in Australien hielt, nahmen sich einige Jugendbeauftragte zu Herzen. Sie wollten wissen, wie sich die Jugendlichen die Kirche der Zukunft wünschen, und entwickelten die Idee, einen Workshop zu diesem Thema anzubieten. Apostel Uli Falk gefiel dieses Konzept, er setzte sich für die Umsetzung ein. Am Donnerstag, 14. April 2016, zwei Stunden vor Beginn des ersten von drei Workshops, steht er im Vorraum der Kirche in Hamburg-Harburg, noch ist alles ruhig. Er sagt:

„Es ist ein Teil der Konzeption, dass wir nicht wie sonst über die Jugendleiter zu diesem Workshop eingeladen haben, sondern über Facebook, über die Webseite der Gebietskirche, über Rundschreiben an die Bezirksämter. Denn wir möchten gezielt diejenigen ansprechen, die sich wirklich äußern wollen, die sich engagieren und einbringen wollen. Der Workshop ist nicht durchgeplant, wir haben nur ein paar Fragen formuliert: Was gefällt dir an der Kirche, was wünschst du dir anders … Alles ist auf lockere Kommunikation ausgerichtet, wir wollen eine Atmosphäre schaffen, wo man offen reden kann. Wir wissen nicht genau, was heute abend dabei herauskommt. Vielleicht kann nicht jede Idee eins zu eins umgesetzt werden, aber die Ideen, die heute abend entwickelt werden, werden in die Jugendarbeit der Gebietskirche einfließen.“

Apostel Falk erklärt, wie das Konzept für den Workshop entstanden ist: „Heute haben viele Jugendliche keine feste Bindung mehr an ihre Gemeinde, das ist deutschlandweit ein Problem. Zu Jugendabenden kommen bei uns im Durchschnitt nur noch etwa 10 Prozent der Jugendlichen. Eine höhere Beteiligung gibt es bei großen Events wie Jugendtagen, diese schaffen aber keine Anbindung an die Ortsgemeinde. Wenn die Jugendlichen in ihrer Gemeinde keine Heimat haben, wird es schwer, sie dauerhaft an Jesus Christus und an die Kirche zu binden. (...) Wir haben Strategiegruppen, eine davon beschäftigt sich mit Gemeindeleben, eine mit Jugendarbeit. Beide Gruppen haben gemeinsam beschlossen daran zu arbeiten, dass Jugendliche sich in der Gemeinde zuhause fühlen und sich dort engagieren. Bisher hört man ab und zu von Geschwistern: Ja, sie sind alle herzlich willkommen, sie sollen auch mitmachen, aber am liebsten so, wie es immer schon war.“

Die kirchliche Hierarchie bedingt, dass neue Ideen oft nicht so schnell und umfassend umgesetzt werden können, wie Jugendliche sich das wünschen, weil Veränderungen der Zustimmung des Bezirksvorstehers, Bischofs oder Apostels bedürfen. Umgekehrt erfahren die höheren Amtsträger oft nur über Dritte, was Jugendliche bewegt. „Wir wollen stattdessen diesmal eine direkte Rückmeldung von der Basis ohne Filter, wir wollen direkt hören, was wünschen sich die Jugendlichen, was geht ihnen so richtig gegen den Strich“, sagt Apostel Falk.

Ein Abendmahl für die Gemeinschaft

Nachdem der Gedanke, in Workshops direkt mit den Jugendlichen zu sprechen, die sich einbringen wollen, von Bezirksapostel Rüdiger Krause gutgeheißen wurde, konnte die konkrete Planung beginnen. Die Strategiegruppe bat Benny, Finja, Natalie, Marja und Martin, alle Mitte bis Ende 20 und in der Jugendarbeit aktiv, sich Inhalte und Ablauf des Workshops zu überlegen. Apostel Falk betont, dass es ein Abend von Jugendlichen für Jugendliche sein soll: „Der Abend wird nicht vom Apostel, sondern von den Jugendlichen durchgeführt. Wir beginnen mit einem gemeinsamen Abendessen, nicht mit einem offiziellen Eröffnungsgebet des Apostels, dabei können in lockerer Atmosphäre schon die ersten Gespräche entstehen. Heute abend können zwei Jugendliche kommen oder 80 – wir lassen uns einfach überraschen.“

Am Schluss sind es etwa 25 junge neuapostolische Christen, die sich auf den Weg nach Harburg gemacht haben und genauso neugierig sind wie der Apostel auf das, was sie dort erwartet. Dass das keine Powerpoint-Präsentation ist, sondern ein langer Tisch, gedeckt mit Oliven, Brot, Chips, Muffins und Käse, war Bennys Idee: „Ich habe mir gedacht, die besten Gespräche über den Glauben entstehen, wenn wir mit Freunden bei selbstgemachter Pizza und einem Glas Wein zusammensitzen, das ist doch bei solch einem Workshop bestimmt auch so. Viele Jugendliche, die heute Abend kommen, kennen einander nicht oder höchstens vom Sehen, die können in entspannter Atmosphäre Kontakt aufnehmen. Und durch den gedeckten Tisch signalisieren wir ihnen: Herzlich willkommen, schön, dass du da bist. Dann kann ein Gespräch entstehen.“

Finja begrüßt die Jugendlichen, dann betet sie für das Essen und gibt eine kurze Einführung in den Workshop: Mehrere Stehtische sind mit Papiertischdecken bedeckt, darauf haben die Organisatoren je eine Frage geschrieben. Mit Edding-Stiften können die Jugendlichen ihre Antworten und Kommentare auf die Tischdecken schreiben. Eine sogenannte Grüne Wiese ist an die Pinnwand geheftet und bietet Platz für Ideen, Anregungen und Kritik. Der Fahrstuhl ist zum Tonstudio umgestaltet worden, dort können diejenigen, die nicht schreiben mögen, ihre Gedanken auf einem Aufnahmegerät hinterlassen.

Doch zunächst lassen sich die Jugendlichen die leckeren Sachen schmecken, mit denen der Tisch gedeckt ist; der Geräuschpegel steigt. Freunde unterhalten sich über das letzte Wochenende oder den neuesten Film, andere lernen einander gerade erst kennen. Kevin zum Beispiel stammt aus Göttingen und ist erst vor kurzem zum Studium nach Hamburg gekommen. Von dem Workshop erhofft er sich, andere Jugendliche kennenzulernen und zu erfahren, wie sie sich einen gelungenen Gottesdienst vorstellen. Er selbst hat sich dazu schon Gedanken gemacht und wünscht sich ab und zu Feedbackrunden zur Predigt nach dem Gottesdienst oder mittwochs nur eine kurze Predigt mit anschließendem Gesprächskreis. Benny ist zufrieden mit dem Auftakt des Abends:

„Wir haben für den weiteren Verlauf des Abends kein fertiges Konzept. Ja, wir haben ein paar Fragen gesammelt. Aber viel wichtiger ist uns zu erfahren, warum jeder einzelne hier ist. Wir wollen, dass die Jugendlichen spüren, sie können sich innerhalb der Gruppe öffnen. Das funktioniert in Bezirks-Jugendstunden oft nicht, da sagen nur die Extrovertierten etwas. Die meisten denken: Ich kenne die anderen nicht, wieso soll ich da etwas von mir erzählen?“

Fantasie und Fehlertoleranz sind gefragt

Nach etwa einer Stunde sind alle satt, Einige gehen an die Stehtische und lesen sich die Fragen durch, andere suchen das Gespräch mit Apostel Falk. Die Schwierigkeit, als Studentin regelmäßig die Chorproben zu besuchen, ist ebenso Thema wie eine für den Geschmack der Jugendlichen zu autoritäre Gemeindeführung, Priestermangel und unflexible Jugendbeauftragte. Über veraltete Kleiderregeln wird gesprochen und über die Schwierigkeit, alle Gemeindemitglieder anzunehmen, auch wenn man mit einzelnen nicht so gut klarkommt.

Auch die Jugendstunden werden diskutiert – einige der Anwesenden sind Jugendbetreuer, sie wissen, wie schwierig es sein kann, Jugendliche zum Mitmachen zu motivieren. Sie haben schon Ü-21-Jugendstunden angeboten, zu denen kaum jemand kam, oder Quizrunden, um die Jugendstunden für Jüngere interessant zu gestalten. Dass sie trotzdem viele Jugendliche nicht erreichen, macht sie traurig und auch etwas ratlos. Demotiviert sind sie aber nicht, sie tauschen Ideen aus und machen einander Mut, für ihre Vorstellungen einzutreten.

Während einige in Gespräche versunken sind, schreiben andere ihre Wünsche, Beschwerden und Anregungen auf die Papiertischdecken oder auf Pappkarten, die später an die Grüne Wiese gepinnt werden. „Die Gemeinschaft von jung und alt“ und „zusammen singen“ steht unter der Frage „Was macht dich in deiner Gemeinde zufrieden?“, „Lästern“, „Unfrieden“ und „Mangelnde Toleranz den Jugendlichen gegenüber“ bei der Frage nach dem, was unzufrieden macht. Damit sie Lust bekommen, sich in der Kirche zu engagieren, wünschen sie sich „dass man die Möglichkeit erhält, mal was neues zu probieren“. Motiviert fühlen sie sich durch „das Lob aus der Gemeinde“ und den Wunsch, „gemeinsam etwas bewegen und erleben zu können“. Die meisten der Ideen und Wünsche, aber auch die Klagen kann Apostel Uli Falk gut nachvollziehen:

„Ich stelle oft fest, dass Jugendliche, die sich engagieren wollen, in den traditionellen Strukturen unserer Kirche hängenbleiben und es nur zäh vorwärtsgeht. Da geht sehr viel Energie verloren, diese Jugendlichen verlieren wir oft. Sie finden andere Stellen, wo sie sich einbringen können, wo sie mehr Freiheit haben. Die demografische Entwicklung und der Gottesdienstbesuch zeigen, dass wir uns das nicht leisten können. Ich versuche ihnen daher Mut zu machen, damit sie durchhalten, und ich versuche Verständnis bei ihnen zu wecken dafür, dass sich diese über Jahrzehnte verfestigten Strukturen nicht von heute auf morgen aufbrechen lassen. Manche Amtsträger haben Angst, dass die Entwicklungen unkontrollierbar werden, wenn Jugendliche Gestaltungsfreiräume erhalten. Diese Angst halte ich für unbegründet. Jugendliche korrigieren sich untereinander, sie passen auf einander auf. Die Kirche braucht Entwicklung, und wenn wir Neuerungen wollen, brauchen wir auch Querdenker, die die ausgetretenen Pfade einmal verlassen, und wir brauchen Fehlertoleranz. Wir müssen diese Tore öffnen. Deswegen stellen wir die Grundstruktur unserer Kirche nicht in Frage, wir bleiben eine amtsgeführte Kirche. Das wollen die Jugendlichen auch gar nicht ändern. Aber wir sollten uns alle gemeinsam bemühen, das kirchliche Leben interessant und inhaltsreich zu gestalten.“

Ein kleiner Schritt in diese Richtung ist getan, als sich gegen 23 Uhr die Runde langsam auflöst. Die Tischdecken sind vollgeschrieben, die Chipstüten leergegessen, viele Ideen ausgetauscht worden. Beim Rausgehen fällt der Blick noch einmal auf das große Plakat, das die Jugendlichen am Kircheneingang mit „Gut, dass ihr da seid!“ begrüßt hat. „Danke für den schönen Abend mit euch! Tolle Gespräche und Gedanken“, hat jemand darunter geschrieben.

 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Bischoff Verlags, der Artikel ist auch zu lesen in der Ausgabe spirit 03/2016.